Minkyu Kim über Lars David Kellners Einspielung sämtlicher Harmoniumwerke von Franz Liszt - Band 5
December 22, 2023
Franz Liszt – Werke für Harmonium, Band 5
Liszts Werke für Harmonium wurden bislang häufig übersehen, obwohl er vor allem in seinen späteren Jahren viel für das Harmonium komponiert hat. Lars David Kellner ist es zu verdanken, dass diese Kompositionen nun endlich in ihrer Gesamtheit zu hören sind. Kellners Liszt-Harmonium-Projekt findet seinen Höhepunkt und Abschluss im fünften Band, der alle bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung (Dezember 2023) bekannten Harmoniumwerke enthält. Wie im vorangegangenen Band 4 enthält dieses Album wohl ausschließlich Ersteinspielungen. Lediglich die erste Fassung des Weihnachtsbaums und alle Fassungen des Angelus wurden bereits ausschließlich auf dem Klavier eingespielt.
Liszt vollendete Den Schutz Engeln (Angélus), S. 672c/i [Orgel-/Harmoniumfassung von S. 162a/i; enthalten in Kellners Band 4] am 27. September in der Villa d'Este. Am 2. Oktober, dem Festtag der Heiligen Engel, nahm er leichte Änderungen an dem Stück vor und überarbeitete es am 15. Oktober weiter. Liszt widmete die zweite Fassung (Den Schutz Engeln (Angélus), S. 672c/ii [S. 162a/ii]) und die dritte Fassung (Angélus, S. 672c/iii [S. 162a/iii]) seiner Enkelin Daniela von Bülow, die es laut Liszt "leicht auf dem Klavier spielen wird". Zwei Jahre später, im Jahr 1880, während eines Aufenthalts in Siena, nahm er das Werk wieder auf und änderte die Taktart von 3|4 auf 6|8 - eine bemerkenswerte Veränderung des Stücks (Angélus! Prière à l'ange gardien, S. 672c/iv [S. 162a/iv; enthalten in Band 4]).
Angélus wurde im Februar 1882 zur Veröffentlichung kopiert. Liszt änderte die Abschrift jedoch erneut, anstatt sie zu publizieren. Das Manuskript dieser Fassung (Angélus! Prière à l'ange gardien [Gebet an den Schutzengel]), S. 672c/v [S. 162a/v]) enthält viele Korrekturen, die schließlich eine weitere Abschrift zur Veröffentlichung erforderlich machten. Nach einigen kleineren Überarbeitungen des Stücks wurde die endgültige Fassung von Angélus als erstes Stück der Années de Pèlerinage - Troisième année, S. 163 [S. 672c/vi; in Band 2 enthalten] veröffentlicht. Die endgültige Fassung wurde mit einem allegorischen Gemälde dreier Engel von Paul von Joukowsky veröffentlicht, die Liszts drei Enkelinnen darstellen: Daniela von Bülow, Blandine von Bülow und Eva Wagner.
Liszt schrieb das Ave Maria für gemischten Chor und Orgel im Oktober 1869. Wie es seine Gewohnheit war, fertigte er verschiedene Versionen des Werkes gleichzeitig an. Die Fassung für Pianoforte wurde 1872 veröffentlicht, mit Ossiatexten für Harmonium, basierend auf Manuskripten im Goethe- und Schiller-Archiv Weimar von Kahnt. Das Manuskript einer weniger bekannten Fassung des Ave Maria [S. 667c/2] befindet sich heute im Nederlands Muziek Instituut, Den Haag. Obwohl es aufgrund des undatierten Manuskripts unmöglich ist festzustellen, wann genau Liszt diese Fassung niedergeschrieben hat, deutet ihr sauberer Zustand ohne Streichungen und Korrekturen darauf hin, dass sie möglicherweise später geschrieben wurde als die ursprünglich veröffentlichte Fassung [S. 667c/1; enthalten in Band 1]. Das Den Haag-Manuskript wurde 2014 erstmals als gedruckte Partitur von der Editio Musica Budapest herausgegeben.
Die ersten vier Stücke der endgültigen Fassung von Weihnachtsbaum (S. 186) können nach Liszts Angaben auf dem Harmonium gespielt werden [S. 673a; in Band 1 enthalten]. Die vorliegende Aufnahme enthält die frühen Fassungen dieser Werke. Obwohl diese Stücke nicht ausdrücklich für das Harmonium bestimmt sind, klingen sie ebenso wie die endgültigen Fassungen perfekt auf diesem Instrument. Die erste Version [S. 185a] wurde im Februar 1876 fertiggestellt. Dann korrigierte Liszt - wie für ihn typisch - ausgiebig eine Abschrift der ersten Fassung. Die als zweite Version [S. 185b] katalogisierte Abschrift ist heute in zwei Teile getrennt und befindet sich im Istituto Liszt in Bologna und in der Bibliothèque nationale de France. Leider ist das erste Exemplar, das die Nr. 1-6 enthält, derzeit nicht zugänglich. Die dritte Fassung [S. 185c] wurde in den Jahren 1877-80 von dem russischen Verleger Gutheil herausgegeben, basierend auf einer Abschrift der zweiten Fassung, die Liszt weiter veränderte. Sie wurde 1881/2 erneut überarbeitet und schließlich bei Fürstner [S. 186] mit einer Widmung an Liszts Enkelin Daniela von Bülow veröffentlicht.
Als Liszt 1865 die Veröffentlichung von Der Papsthymnus, S. 261 [enthalten in den Bänden 1 & 4] vorbereitete, nahm er zahlreiche Korrekturen an den Entwürfen vor, die sich heute im Goethe- und Schiller-Archiv befinden. Der Titel des Werkes wurde von Pio IX Hymnus, S. 260b in Der Papsthymnus geändert, und die zweite Seite wurde völlig neu geschrieben. Die vorliegende Aufnahme präsentiert den Originaltext des Autographs, der sich ebenfalls in diesem Archiv befindet.
In den Jahren 1878/9 bereitete Liszt geistliche Choräle zur Veröffentlichung vor. Bei der Ausgabe handelt es sich vermutlich um einen Privatdruck, da außer dem Titel Choräle [S. 669a] keine weiteren Angaben vorhanden sind. Neun (von zwölf) dieser Werke wurden bereits in Band 2 von Kellners Reihe aufgenommen, in Anlehnung an die Auswahl in der Gesamtausgabe von Liszts Orgelwerken von M. Haselböck, der nicht alle Choräle als für die Orgel geeignet erachtete. Die vorliegende Aufnahme enthält die verbleibenden Choräle, die ohne Einschränkungen auf dem Harmonium gespielt werden können. Ein bestimmtes Stück, Es segne uns Gott, wurde zusammen mit anderen Chorälen in der Partitur für gemischten Chor und Orgel in den Erstdruck der Choräle aufgenommen, während andere für Pianoforte, Orgel oder Harmonium geschrieben sind. Der Vollständigkeit halber kann es auch auf dem Harmonium gespielt werden, weshalb es in der vorliegenden Aufnahme berücksichtigt ist. Ein früher Entwurf zu O Lamm Gottes und eine obsolete Skizze zu O Traurigkeit befinden sich im Goethe- und Schiller-Archiv.
Es ist nicht bekannt, ob Liszt selbst Ach Gott vom Himmel sieh darein harmonisiert hat. Das Manuskript, das im Goethe- und Schiller-Archiv (GSA 60/Z 2) aufbewahrt wird, ist handschriftlich von Alexander Wilhelm Gottschalg, den Liszt häufig in Bezug auf seine Orgelwerke konsultierte, und enthält einige Korrekturen in blauer Schrift, die möglicherweise von Liszt vorgenommen wurden.
Eine unbetitelte Choralskizze, S. 700t, die sich im Goethe- und Schiller-Archiv befindet, ist in drei Notensystemen geschrieben, als ob sie für Gesang und Tasteninstrument bestimmt wäre. Allerdings fehlt die Melodie nach dem ersten Takt bis zur letzten Phrase, und es ist kein Text vorhanden. Die Aufführung des Stücks auf einem Tasteninstrument ist daher das geeignetste Mittel.
Pange lingua [Sing, meine Zunge], S. 183a ist eine einfache Harmonisierung eines lateinischen Hymnus, den Liszt in Hunnenschlacht, S. 105 und in Der nächtliche Zug aus Zwei Episoden aus Lenaus Faust, S. 110 verwendet hat. Das Autograph, das 2015 versteigert wurde, trägt einen Vermerk von fremder Hand: "M. S. Autograph von Franz Liszt. Bearbeitung der gregorianischen Hymne 'Pange Lingua' Übergeben von Herrn Gr[?]...Sekretär von Liszt". Der Name des Sekretärs auf dem Zettel wurde leider abgerissen.
La carità [di Rossini], S. 675d ist eine vereinfachte Fassung von Liszts Transkription von La charité aus Trois chœurs religieux von Rossini, deren Manuskript mit "für Harmonium arrangiert von Franz Liszt" bezeichnet ist, obwohl es eine Reihe von Pedalzeichen für Klavier enthält. Das Manuskript ist zwar nicht von Liszts Hand geschrieben, befindet sich jedoch in der Sammlung von Liszt-Manuskripten im Goethe- und Schiller-Archiv Weimar.
Seit dem Beginn dieses Projekts sind mehrere bisher unentdeckte Stücke von Liszt für Harmonium ans Licht gekommen. Es ist denkbar, dass die künftige Forschung einen weiteren Band erforderlich machen wird, um diese Reihe umfassend zu vervollständigen.
Minkyu Kim, The Liszt Society